Wie's Hexie sieht

# 2: Das Märchen vom Erwachen

gepostet am 29.05.2020

Heute habe ich eine Geschichte für Euch ausgesucht, die das Thema "Erwachen" betrifft - sehr passend in der heutigen Zeit, wie ich finde.

Viel Freude beim Lesen!

 

Eure Hexie



Das Märchen vom Erwachen

 

Es war einmal …

 

Es war einmal ein wunderschöner Zauberwald. Es war das Reich der Feen, Hexen, Nymphen und Zauberer. Es war ein verwunschenes Reich, jenes der unerfüllten und erfüllen Träume und nur allein Deine Fantasie, Deine Fähigkeit, Deine Träume in Bilder und Geschichten zu fassen, gewährt Dir Eintritt.

 


Diejenigen, die sich niemals ihren Träumen hingeben, die die Farben der Liebe nicht kennen und niemals ihre Gedanken in die Freiheit schicken, denen bleibt der Zugang verwehrt.

 

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So lass Dich entführen in eine Welt, die so unerreichbar scheint und uns doch ständig begleitet, komm mit mir, und lass Dir erzählen …

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Keiner kann heute mehr sagen, wann das alles geschah, weil sich niemand mehr erinnern kann, denn dieses Märchen wurde anders überliefert.

 

Auf einem schlichten Bett, ganz oben in der Dachkammer vom letzten der 13 Türme eines alten Schloßes, da lag ein Mädchen mit geschlossenen Augen und schlief so friedlich, als liege es dort schon seit vielen, vielen Jahren.

 

Eine kleine Amsel kam sie immer besuchen jeden Morgen, um ihr ein Aufwachlied zu singen, doch das Mädchen wollte niemals erwachen, so schön die Amsel auch sang.

 

Eines Morgens – die Amsel wollte gerade zum Fenster des Mädchens fliegen, um ihre ihr so lieb gewordene Pflicht zu erfüllen – da zogen dicke, dunkel Wolken am Himmel auf und der Wind blies so stark, dass die Amsel in ihrem Nest sitzen bleiben musste und nichts anderes tun konnte, als sich unter ihren Flügeln zu verstecken und zu hoffen, das aufziehende Gewitter möge dem zarten Mädchen nicht zuleide tun.

 

So begann ein Donnern und Raunen und Knacken und Prasseln, dass die Amsel glaubte, das Firmament würde jeden Augenblick einstürzen – doch wie wunderlich: Wo waren die Blitze? Da müssten doch Blitze sein.

Durch das Fenster, ganz oben im Turmzimmer des letzten der 13 Türme des alten Schloßes schlich langsam ein immer größer werdender Schatten – und der Schlaf des Mädchens wurde ruhelos und auf ihrer feinen Stirn zeigten sich Sorgenfalten.

Ihre Gewänder wurden vom Wind gebauscht und es sah bald so aus, als wolle der Wind das Mädchen mit sich fortreißen.
Und plötzlich war er da, dieser blaugelbe Blitz, zuckte durch die Dachkammer, wirbelte um das Mädchen, vertrieb den Wind, vertrieb den Schatten und – vertrieb den Schlaf.

 


Im Zimmer war alles still. Das Mädchen lag mit offenen Augen auf ihrem Bett und blinzelte in freundlich glitzernde Sonnenstrahlen. Sie glaubte, das Lied der kleinen Amsel, die jetzt am Fenster saß, habe sie geweckt.

Sie wollte aufspringen und ihren Eltern, dem König und der Königin guten Morgen wünschen, doch wie still war es überall, als sie die kleine Wendeltreppe hinuntersprang.


Und - ach - wie erschrocken war sie, als sie sah, dass die Wachen vor dem prächtigen Eingangstor des Thronsaales schliefen. Und ihr Vater, er war auf dem Thron eingeschlafen. Ihre Mutter, die Kammerdiener, die Zofen - sie alle schliefen. Und kein Rütteln und kein Weinen noch all ihr Schluchzen vermochten sie zum Erwachen zu bewegen. Alles, was sie hören konnte, waren ihre eigenen Schritte und ihr eigener Atem.

Sie lief durch das Schloß über den gepflaserten Innenhof hinüber zu den Dienstboten, doch alle, alle schliefen. Ja, selbst die Pferde und Hühner standen reglos mit geschlossenen Augen. Sie lief in die Küche und sah den Koch innehalten, die Hand erhoben, dem Küchenjungen eine Ohrfeige zu geben.

 

Schliefen den wirklich alle oder sah sie nur ein Trugbild ihrer Sinne? War nicht sie es, die schlief, während ihr ihre Träume einen Streich spielten?

Da bemerkte sie, dass die kleine Amsel ihr hinterhergeflattert war, aufgeregt auf dem Küchenbord herumhopste und mit ihrem kleinen Schnabel beständig auf ein Buch pickte.

Das Mädchen hatte das Buch gar nicht wahrgenommen, doch nun schien es zu glitzern und zu pulsieren. Mit zitternden Fingern griff sie nach dem Buch und begann zu lesen. Eine Seite nach der anderen las sie die goldenen Buchstaben, ...


... las die Geschichte von Dornröschen. Und als sie die letzten Zeilen mit tränenglitzernden Augen beendet hatte, da wusste sie, sie selbst war dies Dornröschen. Sie war zu früh erwacht, und nun galt es, auch die anderen zum Erwachen zu bewegen.

Und so ungewöhnlich dies selbst im Reich der Märchen erscheinen mag, sie musste, dies schien die einzige Möglichkeit, sie musste ihren Prinzen finden, sie musste sich auf die Suche begeben und hatte doch nur eine kleine Amsel zum Freund.

 

Wie viel Gefahren musste sie überwinden, welche Ängste durchstehen und - ach - so viele Frösche boten sich zum Kusse dar.

 

Müde, erschöpft und unendlich enttäuscht kehrte sie heim in ihr schlafendes Schloß und wieder zeigte ihr die kleine Amsel den Weg durch die undurchdringlich erscheinende Dornenhecke.

Mit schweren, wunden Füßen und zerissenen Kleidern erklomm sie die Stufen zur alten Dachkammer und fiel schwach auf das Bett, auf dem sie so viele Jahre geschlafen hatte.

Die kleine Amsel setzte sich mit niedergeschlagenen Augen ans Fenster und stimmte traurig ihr Abschiedslied an.

 

Und da, bei dieser zarten Melodie, erkannte Dornröschen, dass sie während all ihrer Suche ihr Herz der Liebe verschlossen hatte. Dass sie nicht nach einem Prinzen eines Reiches, nicht nach einen Prinzen der Schönheit, sondern nach dem Prinzen ihres Herzens hätte suchen sollen.

Und wer hatte während all der schweren Zeit mehr ihr Herz berührt, als ihr kleiner Freund, die Amsel.

 

Da sprang sie ans Fenster und gab dem kleinen Vogel einen dicken Kuß mitten auf den winzigen singenden Schnabel. Sie hatte ihr Herz der Liebe geöffnet und war zum zweiten Male erwacht ...

... und mit ihr das ganze Königreich.

 

Es war nicht vorgesehen, dass Dornröschen zu früh erwachte, und doch ist es geschehen.

Zeitlebens war sie dankbar, auf ihrer Suche, den anderen und damit sich selbst helfen zu können, einen Freund - sei er noch so klein, sei er auch noch so unscheinbar - einen Freund gehabt zu haben.

 

Autor: Angélique Behrens


Ihr Lieben!

 

Ich hoffe, wann immer Euer Erwachen Euch zu erdrücken scheint, irgendwo eine kleine Amsel sitzt, die Euch ihr schönstes Lied singt, das Euch tief im Herzen berührt.

 

Und ich verrate Euch jetzt was: Die Geschichte hatte Angelique Behrens, meine Menschenfreundin auf Erden, vor vielen Jahren geschrieben. Ich habe sie überredet, dass an der Zeit ist, solche Geschichten zu teilen.

 

Ich hoffe, ihr hattet Freude beim Lesen.

Bis bald.

 

Eure Hexie



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